„Hetzjagd“ von Chemnitz: Fanal oder Fake?

Es ist der Medienhype des Spätsommers: In den frühen Morgenstunden des 26. August stechen zwei Asylwerber drei Deutsche in Chemnitz nieder, ein 35-jähriger Tischler stirbt. Noch am Sonntag rufen die AfD und rechtsextreme Gruppierungen zu Protesten auf, die in der Folge zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen in der knapp 250.000 Einwohner zählenden Industrie- und Universitätsstadt führen. Die schwachen Polizeikräfte – 800 aufgebrachten Demonstranten stehen nur rund 80 Exekutivbeamte gegenüber – können die Protestmärsche im Zuge eines länger geplanten Stadtfestes nicht unter Kontrolle bringen. Am Montag sind es schon tausende Empörte und 1500 Gegendemonstranten, die von der Polizei nur mühsam getrennt werden können. Es kommt zur Verfolgung und Bedrohung von Migranten.

Die deutsche Politik ist außer sich. Bundeskanzlerin Merkel schafft es, der Empörung der Bundesregierung Ausdruck zu verleihen: „Wir haben Videoaufnahmen darüber, dass es Hetzjagden gab, dass es Zusammenrottungen gab, dass es Hass auf der Straße gab, und das hat mit unserem Rechtsstaat nichts zu tun. Es darf auf keinem Platz und keiner Straße zu solchen Ausschreitungen kommen.“ Regierungssprecher Steffen Seibert wettert auf Twitter: „In Deutschland ist kein Platz für Selbstjustiz!“ Das Schweizer Außenministerium gibt allen Ernstes eine Reisewarnung für seine Bürger heraus: „Das Land ist stabil. In den großen Städten kann es aber zu Demonstrationen kommen. Lassen Sie in der Umgebung von Demonstrationen Vorsicht walten, da Ausschreitungen möglich sind.“

Die deutschen Medien hyperventilieren: Von Gewaltexzessen ist die Rede, die Leitartikler der deutschen Qualitätsmedien übertreffen sich in Betroffenheitsbekundungen, in Interviews mit den unvermeidlichen Experten wird Sachsen als Hort des Rechtsextremismus und Rassismus dingfest festgemacht. „Hetzjagd in Chemnitz – Bewährungsprobe für den Rechtsstaat“ ist das Thema von Maybrit Illner am 30. August. „Eine regelrechte Pogromstimmung herrschte in Chemnitz“, heißt es im Teaser. „Der rechtsextreme Angriff auf die Demokratie ist im vollen Gange“, mahnt Patrick Gensing auf tagesschau.de. „Woche der Wut“ wird die Bildzeitung später titeln. 65.000 Menschen folgen dem Aufruf der Band Kraftklub und dem Bündnis Chemnitz Nazifrei und setzen, so die spürbar erleichterten Berichterstatter, eine Woche nach den Ausschreitungen „ein Zeichen gegen Faschismus und Rassismus“. Dessen Titel „wir sind mehr“ verbreitet sich wie ein Lauffeuer über die sozialen Medien. Langsam atmen Politik und Medien auf: Noch einmal hat das Gute über das Böse gesiegt, die deutsche Demokratie ist gerettet, man hat es – schon wieder – geschafft.

Und dann das. Ausgerechnet der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, äußerte wenige Tage nach den Ereignissen Zweifel. „Die Skepsis gegenüber den Medienberichten zu rechtsextremistischen Hetzjagden in Chemnitz wird von mir geteilt“, soll Maaßen gegenüber der Bild-Zeitung gesagt haben. Dem Verfassungsschutz lägen „keine belastbaren Informationen darüber vor, dass solche Hetzjagden stattgefunden haben“. Und Maaßen, zweifelsohne in vollem Bewusstsein über die Brisanz dieser Aussage, ging noch weiter: Nach seiner „vorsichtigen Bewertung“ würden „gute Gründe dafürsprechen, dass es sich um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken“.

Die Strafe für den Ungläubigen folgte sofort: SPD, Grüne, Linke und FDP zeigten sich empört, Rücktrittsforderungen wurden laut. Dumm nur, dass sich der sächsische Innenminister Roland Wöller hinter Maaßen stellte: Er verwies im MDR darauf, dass auch der Generalstaatsanwalt in Sachsen keinerlei Erkenntnisse habe, dass es sich um Hetzjagden gehandelt habe. Ministerpräsident Michael Kretschmer hatte schon zuvor in einer Regierungserklärung gesagt: „Es gab keinen Mob, es gab keine Hetzjagd, es gab kein Pogrom in Chemnitz.“ Maaßen’s Schicksal war damit allerdings besiegelt, für ihn wird jetzt in Horst Seehofers Innenministerium ein Abschubposten geschaffen, nachdem er für seine ketzerischen, wenn auch bis heute unwiderlegten Aussagen beinahe noch mit einem Staatssekretariat belohnt worden wäre. Das verhinderte allerdings im letzten Moment die SPD mit der Maximaldrohung eines Koalitionsbruchs.

Die Faktenlage bezüglich der „Hetzjagd“ ist also sehr alternativ. Verlass ist heutzutage offenbar nur mehr auf die Leistungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf): Wie sich mittlerweile herausgestellt hat, legte einer der mittlerweile in U-Haft befindlichen Messerstecher, der mutmaßliche Iraker Yousif A. (eventuell 22), gefälschte Dokumente vor; er kann aber nicht abgeschoben werden, weil man ja nicht weiß, wohin eigentlich, und wurde mittlerweile wieder auf freien Fuß gesetzt. Der andere, der – vielleicht – Syrer Alaa S. (möglicherweise 23), wurde auf Grundlage einer „Selbstauskunft“ als Flüchtling anerkannt, weil das personell unterbesetzte Amt mit der Überprüfung der Angaben nicht nachkam. Ein dritter Tatbeteiligter ist bis heute flüchtig.

Die Wahrheit ist es auch.

 

Dieser Text ist erschienen im Wirtschaftsmagazin Advantage.

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